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Aaron Aebi

Index 8: Feindbild Bett

Das Bett ist zur Projektionsfläche der Probleme unserer Zeit geworden: Seit wir den Frust der Überforderung auf unsere Betten abwälzen, scheinen sie im coronabedingten Home-Office als Sündenböcke für die immer kleiner werdende Distanz zur Arbeit hinhalten zu müssen. Zugegeben, diese Formulierung ist herzlich übertrieben, aus der Luft gegriffen ist sie aber keineswegs. Unser dritter Gastautor Aaron Aebi denkt einmal mehr über das Bett und seine gegenwärtige Bedeutung nach. Durch die Brille eines Grafikstudenten.


Smillas sechster Index («Designen vom Bett aus») hat einmal mehr unter Beweis gestellt, dass Design ein interdisziplinärer Diskurs ist. Ich als angehender Grafiker, designe in Zeiten von Corona genauso vom Bett aus wie Produktdesigner:innen, Architekt:innen, Modedesigner:innen und andere. Wir alle denken über die ideale Formgebung unter Berücksichtigung einer bestimmten Funktion nach. Damit sind wir uns ähnlicher, als wir manchmal denken. Es scheint mir eine Bereicherung zu sein, eine Plattform wie den Index zu nutzen, um Designprinzipien und -überlegungen auszutauschen und auf die jeweils eigene Disziplin umzumünzen. Gerade jetzt, da der Glasfaserdraht oftmals die einzige Verbindung zur Aussenwelt ist, die uns blieb.


Uns alle beschäftigen also ähnliche Fragen, während wir uns alle mit ähnlichen Arbeitsmustern beschäftigen. Wenn wir nicht gerade per Videokonferenz zusammenarbeiten, dann arbeiten wir allein. Der fehlende Kulissenwechsel zwischen Arbeit und Freizeit bewirkt, dass die Grenzen zwischen dem einen und dem anderen verschwimmen. Die Distanz zur Arbeit wird dieser Tage zusehends kleiner. Die Probleme, die damit verbunden sind, waren seit dem Verschwinden der bezahlten Heimarbeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts[1] aus unserem kollektiven Gedächtnis gelöscht und treten jetzt, ganz unvermittelt, wieder auf.


Ich, ein Student ohne eigene Wohnung, ohne Gästezimmer, Bastelkeller oder Atelier zähle mich zu den Betroffenen. An der Wand über meinem Bett, notabene an der letzten freien meiner vier Wände, hängt seit Kurzem zum Beispiel der komplizierte Aufriss eines Buchprojekts, an dem ich gerade arbeite. Es sind Zettel mit Notizen und Bildern, die mit Fäden verknüpft sind. Der skurrile Anblick erinnert an polizeiliche Ermittlungen, wie sie aus Krimiserien bekannt sind. Nur dass in meiner Buchstruktur keine Täter vorkommen. Zu Opfern hingegen könnten – und das ist nur eine Vermutung – diejenigen werden, die im Bett darunter schlafen.


Denn das vermehrte Home-Office, wenn auch gesundheitlichen Vorsichtsmassnahmen geschuldet, könnte genauso gut eine ausgeklügelte Unternehmensstrategie sein. Es ist, als stellten pfiffige Ökonom:innen in jede Abteilung eines Bürokomplexes eine einladende Kaffeeecke und liessen die Mitarbeiter:innen auch gleich ihr Arbeits-Freizeit-Verhältnis selbst festlegen. Was den Arbeitgeber wie den barmherzigen Samariter dastehen lässt, dient in Wahrheit dazu, auch das letzte bisschen wirtschaftliche Rentabilität aus den pflichtbewussten «Human Resources» herauszupressen.

Der Film Work Hard – Play Hard aus dem Jahr 2011 hat solche bizarren wie ausgefuchsten Strategien sehr schön, wenn auch überspitzt dargelegt.[2] Er zeigt auf, dass die Wirtschaft durchaus daran interessiert ist, Arbeit und Freizeit zugunsten einer gesteigerten Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter:innen verschmelzen zu lassen. Stellt sich die Frage, welchen Anteil wir, die «Kreativstudierenden», daran haben. Die Antwort ist simpel: Wir gehen mit gutem Beispiel und aus freien Stücken voran.


Der Fairness halber muss ich eingestehen, dass mein Zimmer schon vor Corona ein Hybrid aus Atelier und Wohnzimmer, Büro und Schlafzimmer war. Immerhin stehen Pappschere und Buchpresse schon länger neben Bücherregal und Bett. Der überdurchschnittlich hohe Gusseisenanteil hat mich aber nie gestört, ganz im Gegenteil: Ich fühlte mich wohl in meinem atelierartigen Schlafzimmer mit Chilllounge und Schreibtisch. Scherzhaft sagte ich einmal, vor Corona wohlverstanden, dass man mich unter Hausarrest stellen könnte und nur dann wieder in Freiheit entlassen, wenn ich aus dem Nichts ein Buch produzierte. Eingerichtet war ich ja. Wie geglaubt, so geschehen: Im Lockdown vergangenen Frühling konzipierte und produzierte ich ein Buch, das zu öffnen verboten ist. Was als Hommage an das Buch als Objekt gedacht war, könnte auch als das Werk eines Eingeschlossenen verstanden werden.


Doch beim nicht öffenbaren Buch blieb es nicht. Im Sommer hatte ich die Gelegenheit, für die Grenchner Wohntage eine Bildstrecke zu machen, die – welch Zufall – das Verhältnis von Wohnen und Arbeit zum Gegenstand hatte. Eine der Illustrationen thematisierte einmal mehr die fehlende Distanz zur Arbeit. Die abgebildete Person will ihre Freizeit geniessen und sucht, mit dem Picknickkorb in der Hand, ein idyllisches Plätzchen. So schön die Senke ist, in der sie steht, die Arbeitersiedlung schwebt bedrohlich darüber. Ganz abschütteln wird die Person ihre Arbeit auf dieser Suche nicht können. Sie wird sie für einen Moment ausblenden müssen. Vielleicht können wir, so denke ich jetzt, von ihr lernen. Vielleicht ist das Bett als Sinnbild für die nunmehr viel besungene Nivellierung der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit gar nicht der eigentliche Übeltäter. Schuld an der Misere dürfte letztlich vielmehr unser ganz eigenes Unvermögen sein, das eine vom anderen zu trennen.























Omnipräsente Arbeit: Die Bedrohung unserer Zeit?

Illustration: Aaron Aebi für das BWO, 2020

 

[1] Tanner, Albert: "Heimarbeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.03.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016213/2015-03-09/, konsultiert am 04.12.2020. [2] https://www.filmdienst.de/film/details/539539/work-hard-play-hard, konsultiert am 11.12.2020.


 

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